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SV Wilhelmshaven gewinnt Rechtsstreit gegen die Sportverbände
Autor: Alfred Kruhl am 21.09.2016
DIE FUSSBALLECKE
Zwangsabstieg aus der Regionalliga Nord war rechtswidrig

Mit der Verkündung seines Urteils am 20.09.2016 (II ZR 25/15) hat der Bundesgerichtshof (BGH) in dem seit 2007 andauernden Rechtsstreit des ehemaligen Regionalligisten SV Wilhelmshaven e.V. (SVW) gegen die Sportverbände (FIFA, DFB und NFV) Rechtsgeschichte geschrieben; denn der BGH hat die vom Norddeutschen Fußball-Verband e.V. (NFV) gegen das Urteil des OLG Bremen vom 30.12.2014 (2 U 67/14) – in dem der Zwangsabstieg des SVW als rechtswidrig verurteilt wurde – eingelegte Revision zurückgewiesen und das Berufungsurteil des OLG Bremen im Ergebnis bestätigt.

Hintergrund des Rechtsstreits

Für den 2007 vom SVW für die damalige RL-Mannschaft verpflichteten Spieler Sergio Sagarzazu, der zuvor bei zwei argentinischen Vereinen als Fußballer ausgebildet worden war, forderten die beiden argentinischen Vereine vom SVW die Zahlung einer Ausbildungsentschädigung nach den FIFA-Bestimmungen. Die zuständige Kammer der FIFA setzte am 5.12 2008 die vom SVW zu zahlenden Ausbildungsentschädigungen auf insgesamt 157.500 € fest. Gegen diese Forderung rief der SVW den CAS an, der jedoch die Forderungen der argentinischen Vereine bestätigte. Da der SVW die Zahlung der Entschädigung trotz Verhängung einer Geldstrafe, Gewährung einer letzten Zahlungsfrist und Abzug von jeweils sechs Punkten in den Spielzeiten 2011/2012 und 2012/2013 verweigerte, sprach die Disziplinarkommission der FIFA am 5.10.2012 den Zwangsabstieg der 1. Fußballmannschaft der Herren des SVW aus.

Nach Bestätigung dieser Sanktion durch den vom SVW erneut angerufenen CAS und der fortgesetzten Zahlungsverweigerung des Vereins forderte die FIFA den DFB auf, den Zwangsabstieg umzusetzen. Der DFB delegierte die Disziplinarmaßnahme an den NFV, dessen Präsidium sodann den Zwangsabstieg zum Ende der Spielzeit 2013/14 beschloss und vollzog. Eine dagegen gerichtete Beschwerde des SVW wies das Verbandsgericht des NFV zurück. Die vom SVW gegen den Zwangsabstieg gerichtete Klage blieb beim Landgericht Bremen (Urteil v. 25.04.2014 – 12 O 129/13) ohne Erfolg. Erst im Zuge der vom SVW eingelegten Berufung beim OLG Bremen wurde die Unwirksamkeit des Beschlusses des NFV, der den Zwangsabstieg verfügt hatte, festgestellt. Die vom NFV dagegen eingelegte Revision blieb vor dem BGH (siehe oben) ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe des BGH

Nach der Pressemitteilung des Gerichts Nr. 163/2016 vom 20.09.2016 stützt der BGH seine Entscheidung im Wesentlichen auf das Fehlen einer eindeutigen Rechtsgrundlage in der Satzung des NFV. Danach darf eine vereinsrechtliche Disziplinarstrafe verhängt werden, wenn sie in der Satzung des Vereins (hier: NFV) vorgesehen ist. Die Regelung muss eindeutig sein, damit die Mitglieder des Vereins die ihnen evtl. drohenden Rechtsnachteile erkennen und entscheiden können, ob sie diese hinnehmen oder ihr Verhalten entsprechend einrichten wollen.

Eine derartige Grundlage fehlt in der Satzung des NFV, soweit es um Disziplinarstrafen bei Nichtzahlung von Ausbildungsentschädigungen geht. Der SVW ist nur Mitglied des NFV, nicht auch des DFB oder der FIFA. Regeln eines übergeordneten Verbandes (wie hier der FIFA) gelten grundsätzlich nur für dessen Mitglieder. Die Satzung des NFV verweist hinsichtlich von Disziplinarmaßnahmen bei Nichtzahlung von Ausbildungsentschädigungen nicht auf die Bestimmungen in den Regelwerken des DFB oder der FIFA.

Nach Auffassung des Gerichts ging es in den vorliegenden Verfahren nicht darum zu entscheiden, ob der SVW die Ausbildungsentschädigung aufgrund der Festsetzung der FIFA und des ersten Schiedsspruchs des CAS zahlen muss, was ggf. in einem auf Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche gerichteten Verfahren zu klären wäre. Entscheidungserheblich war allein die Frage, ob der SVW bei Nichtzahlung mit einem Zwangsabstieg bestraft werden kann. Dafür fehlt es an einer ausreichend deutlichen Ermächtigung, die auch in dem Zulassungsvertrag zur RL nicht enthalten war. Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil v. 28.11.1994 –II ZR 11/94, BGHZ 128, 93) gelten die von dem veranstaltenden Sportverband aufgestellten Wettkampfregeln ohne weiteres für alle Wettkampfteilnehmer, weil anders ein geordneter Wettkampfbetrieb nicht möglich wäre. Die Regeln über die Ausbildungsentschädigung sind aber keine Wettkampfregeln in diesem Sinne.

Presseerklärung des Norddeutschen Fußball-Verbandes e.V. zum BGH-Urteil vom 20.09.2016 (Pressemitteilung 34/2016)

Der NFV will nach seiner Pressemitteilung die schriftliche Urteilsbegründung des BGH zunächst abwarten und diese sodann mit dem DFB sorgfältig analysieren. Auf Basis dieser Begründung und der sich daraus ableitenden Konsequenzen will der NFV umgehend klären, ob sich aus dem Urteil des BGH Regressansprüche ergeben. Darüber hinaus müsse geprüft werden, welche Änderungen in den Satzungen der deutschen Fußballverbände notwendig seien, damit den Verpflichtungen gegenüber der FIFA und den anderen weltweiten Fußballorganisationen auch weiterhin nachgekommen werden kann.

Der für Recht und Satzungsfragen zuständige DFB-Vizepräsident Rainer Koch äußerte sich in seiner Stellungnahme in ähnlicher Form: „Ohne einheitliche, nachvollziehbare und verbindliche Regelungen ist ein rechtssicherer Spielbetrieb nicht möglich. Gegebenenfalls notwendige Satzungsänderungen müssten umgehend auf den Weg gebracht werden.“

Die FIFA wollte das Urteil am Dienstag inhaltlich nicht kommentieren. „Wir müssen zunächst die Begründung für die Entscheidung analysieren, wenn sie uns vorliegen“, so ein FIFA-Sprecher.

Reaktion von Vereinsvertretern des SV Wilhelmshaven

Nach einer ersten Stellungnahme des SVW-Aufsichtsratsvorsitzenden Harald Naraschewski strebt der SVW die Wiedereingliederung in die Regionalliga 2017/2018 an und erwartet eine Entschädigung für den finanziellen Schaden, den der Verein erlitten habe. Dabei seien der DFB und der NFV in der Bringschuld.

Fazit

Die gestrige Entscheidung des BGH dürfte – ähnlich wie bei dem seinerzeit ergangenen Bosman-Urteil – ein mittleres Erdbeben bei den Verantwortlichen der Sportverbände ausgelöst haben. Die von den Sportfunktionären bisher vehement verteidigte Position der eigenständigen Sportgerichtsbarkeit hat einen erheblichen Dämpfer erhalten, weil das Urteil des BGH als oberste ordentliche Gerichtsinstanz in die für unangreifbar gehaltene Gestaltungshoheit des Sportrechts eine Bresche geschlagen hat: Satzungsbestimmungen müssen nachgebessert und rechtssicher gestaltet werden.

Auch das System der Ausbildungsentschädigung nach den FIFA-Statuten bedarf einer Überprüfung, auch wenn sich der BGH in dieser Frage – im Gegensatz zur Begründung im vorgenannten Urteil des OLG Bremen – nicht eindeutig geäußert hat. Bei gutem Willen auf beiden Seiten sollte als Konsequenz aus dem BGH-Urteil eine einvernehmliche Lösung ohne weiteren Rechtsstreit gefunden werden.

DFB und NFV wären meines Erachtens klug beraten, wenn sie nach Überwindung der ersten Schockwelle und nach Vorliegen der Urteilsbegründung das konstruktive Gespräch mit dem SV Wilhelmshaven suchen würden. Nach Äußerungen führender Vereinsvertreter ist man zu entsprechenden Gesprächen bereit.